Zu früh gefreut…
Es klingelt an der Tür. Voller Vorfreude stürmt Madame zur Tür. Ich hinterher. Papa, Papa, Papa ruft sie. Schritte im Stiegenhaus kündigen den Besucher an. Noch ein Halbstock – und die Enttäuschung ist perfekt. Keine Spur vom heiß ersehnten Papa. Es sind ‚bloß‘ Freunde, die übers Wochenende verreisen, deren Balkon wir zur Pflege über haben.
Die Freunde gehen. Die Tür fällt ins Schloss. Und auf einmal geht es los. Madame beginnt zu schreien. Richtig laut. Brüllt was das Zeug hält. Lässt sich nicht beruhigen. Na gut, dann soll sie halt ein bisschen schreien, denke ich mir, sie wird sich schon beruhigen. Aber ein bisschen ist optimistisch gedacht. Zwei Minuten. Drei Minuten. Vier Minuten. Ganze fünf Minuten später (so lange schreit sie sonst nie) ist immer noch keine Besserung in Sicht.
Kein Vorsingen. Keine Geschichte. Kein Spielzeug. Nichts hilft. Ich bin leicht am Verzweifeln, innerlich am Beben. Da kommt mir die Idee: Es gibt da ja noch eine Geheimwaffe: Etwas zu essen. Wenn alle Stricke reißen, hilft das immer (ich weiß, pädagogisch nicht sehr wertvoll, aber was solls). Also gehts ab in die Küche. Schnell Joghurt in eine Schüssel und Bananen dazu geschnitten und schon ist der Snack bereit zum Essen. Und tatsächlich: Madame ist ruhig. Das Essen ist scheinbar sehr verlockend. Oh yes. Der Triumph ist schon sehr nah. Fast schon greifbar. Madame sitzt im Sessel. Der erste Löffel geht zum Mund. Und… da geht es auch schon wieder los. Das Schreien. Scheinbar doch nicht das, was sie sich erwartet hat. Zumindest den Papa kann das Joghurt mal nicht ersetzen.
Das Schreien geht munter weiter und ich komme mir richtig hilflos vor. Schaffe es einfach nicht mein Kind zu beruhigen. Sie ist richtig laut. Was werden wohl die Nachbarn denken? Ich weiß mir nicht anders zu helfen und schleppe Madame ins Badezimmer. Ein bisschen kaltes Wasser ins Gesicht – vielleicht beruhigt sie sich ja dann. Auch der Versuch bleibt ohne Erfolg. Madame schreit. Und schreit. Und schreit.
Mir gehen langsam die Ideen aus. Vielleicht hilft es ja, den Herrn anzurufen. So mit Lautsprecher, dass Madame es hört. Einen Versuch ist es allemal wert. Es klingelt. Tuut. Tuut. Tuut. Und Madame ist kurz ruhig. Was geht da vor sich? Der Herr hebt ab. Und just in dem Moment fängt sie wieder an. Fängt an zu schreien. So laut, dass die Stimme des Herrn gar nie zu uns durchdringt. Schade, das hätte sonst wirklich funktionieren können.
Ich bin ratlos. Habe nun wirklich keine Idee mehr. Trage Madame in unser Bett, kuschle mich zu ihr und hoffe, dass es besser wird. Ich summe vor mich hin, um auch meine Nerven zu beruhigen. Und auf einmal passiert es. Das fast schon undenkbare. Madame wird ruhig. Und ich mit ihr. Keine Minute später ist dann auch er da, der Herr. Heimgekommen von der Arbeit. Endlich. Endlich. Freudestrahlend wir der Herr begrüßt. Das letzte bisschen Aufgebrachtheit – wie weggeblasen. Ganz so als wäre sie nie da gewesen.
Ich bin erleichtert. Und habe wieder einmal dazu gelernt: Das Beste ist es, selber ruhig zu bleiben, auch wenns schwer fällt. Denn Madame spürt alles. Sowohl positive als auch negative Stimmung und Gefühle. Und manchmal ist dann der Teufelskreis perfekt. Da bekommt man eben die Rechnung präsentiert. Vielleicht denke ich ja das nächste Mal daran…
Leave a reply