Geburtserinnerungen Zweipunktnull
Es ist Samstag morgen. Die Sonne lacht. Die Vögel zwitschern. Eigentlich ganz idyllisch. Aber irgendetwas stimmt da nicht. Richtig. Ich bin wach. Und das um 0600 in der Früh. Nicht wegen Madame, wie sonst immer, sondern wegen einem eigenartigem Gefühl in meinem Bauch…
Ob das wieder nur Blähungen sind? Ich bin nicht sicher. Auch der Gang auf die Toilette verschafft keine Klarheit. Irgendwie beschleicht mich so ein komisches Gefühl. Könnte es tatsächlich sein, dass sich der kleine Mann heute auf den Weg zu uns macht? Nein. Den Gedanken verwerfe ich schnell wieder. Für heute haben wir ihn nämlich nicht bestellt. Denn ausgerechnet heute soll der Herr wieder einmal auflegen. Und ich freue mich schon seit Ewigkeiten darauf, ihn wieder einmal spielen zu hören.
Das Gefühl im Bauch lässt nicht nach. Ganz im Gegenteil. Es wird immer mehr. Und immer regelmäßiger. Fieberhaft versuche ich mich zu erinnern. Zu erinnern, wie es damals bei Madame war. Wie sich die Wehen angefühlt haben. Aber keine Chance. Es scheint, als hätte ich das Ganze aus meinem Gedächtnis gelöscht. Vielleicht sollte ich sicherheitshalber den Herrn aufwecken? Nur für den Fall der Fälle. Aber ein Blick zur Seite lässt mich zögern. Er und Madame schlafen so selig neben mir. Also beschließe ich das Geschehen erst einmal weiter zu beobachten.
Ich lasse den vergangenen Tag noch einmal Revue passieren. Den Tag an dem wir noch gescherzt haben. Gescherzt und im Spaß gesagt haben, dass dies der letzte Tag zu dritt sein könnte… Plötzlich werde ich nervös. Was, wenn es wirklich heute so weit ist? Vorsichtig tippe ich den Herrn an. Mit einem Schlag ist er hellwach. Im Gegensatz zu mir ist er sich sicher. Sicher, dass der kleine Monsieur heute zu uns stoßen wird. Und das zu einhundert Prozent. Na wenn er es sagt…
Schnell wird die Oma informiert, um Madame abzuholen. Innerlich hoffe ich, dass das Ganze kein Fehlalarm ist. Wäre schon irgendwie blöd. Während wir warten, messen wir die Abstände der vermeintlichen Wehen. Ich bin nämlich immer noch unsicher, ob es sich wirklich um solche handelt. Vier Minuten. Scheint, als würde es tatsächlich heute losgehen. Madame bekommt von alldem kaum etwas mit. Zum Glück. Schlaftrunken wartet sie auf die Ankunft von ihrem Opa. Und freut sich, den Tag heute mit ihm und Oma zu verbringen.
Madame ist weg. Und mit ihr auch meine Nervosität. Ich bin erleichtert sie in guten Händen zu wissen. Dafür macht sich Planlosigkeit breit. Wieder einmal. Der Herr und ich sind uns nicht sicher, wann wir die Rettung rufen sollen. Noch sind die Wehen nämlich ganz gut auszuhalten. Also gibt erst einmal Frühstück. Zumindest für den Herrn. Mein Appetit hält sich nämlich in Grenzen.
Danach beschließen wir dass es jetzt Zeit ist. Zeit um ins Krankenhaus zu fahren. Mit Blaulicht und Folgetonhorn werden wir chauffiert. Ich im Liegen. Der Herr im Sitzen neben mir. Ich komme mir bei der ganzen Sache komisch vor. Ich bin doch nicht schwerkrank. Sondern einfach nur schwanger. Egal. Irgendwie ist es ja auch lustig, bin ich doch noch nie in einem Rettungsauto gelegen. Schnell noch ein Foto als Beweis (für die Nachwelt) und dann sind wir auch schon da.
Im Krankenhaus dann die Gewissheit: Es handelt sich um keinen Fehlalarm. Es ist tatsächlich soweit. Es tut sich nämlich was. Nur leider noch nicht genug, um im Kreissaal zu bleiben. Also werde ich erst einmal auf die Station verfrachtet, um dort ein Zimmer zu bekommen. Das gefällt mir zwar nicht, aber ich bin trotzdem erleichtert. Erleichtert, dass sich etwas tut. Erleichtert, dass der kleine Monsieur tatsächlich seine Reise angetreten hat.
Doch bis zum Zimmer kommt es dann doch nicht. Am Gang wartend werden meine Wehen plötzlich immer stärker. Und stärker. Ich kann mich kaum in meinem Sessel halten. Das veratmen der Wehen fällt mir schwer. Am liebsten würde ich mich schreiend auf den Boden legen. Aber soweit kommt es dann doch nicht. Es geht nämlich wieder zurück. Zurück in den Kreissaal. Zum Glück. Denn verstören möchte ich hier auch niemanden. Vor allem nicht die werdenden Mamis, die auf den Beginn ihrer Wehen warten.
Im Kreissaal angekommen erlebe ich plötzlich ein Déjà-vu der besonderen Art. Die Erinnerungen an Madame’s Geburt sind auf einmal wieder da. Präsenter als je zuvor. Ich wünschte sie wären fern geblieben. Denn bei dem Gedanken daran, was da heute noch alles auf mich zukommen wird, wird mir ganz anders. Na bravo. Das hat mir gerade noch gefehlt. Aber es gibt kein Zurück mehr…
Der Wehenschmerz ist so heftig, dass ich die Hebamme förmlich anflehe mir das zuvor versprochene Schmerzmittel zu verabreichen. Nach einigen Wehen, die mir vorkommen wie eine Ewigkeit, bekomme ich es dann auch. Von einem auf den anderen Moment ist alles leichter. Das Mittel lässt mich in den Wehenpausen immer wieder abdriften. In einen Delirium-ähnlichen Zustand. Ich fühle mich, als wäre ich im Himmel. Ich bin ganz selig. Auch die Wehen selbst sind viel besser auszuhalten. Denn die Aussicht auf die nächste Pause bringts. So könnte ich ewig da liegen bleiben.
Ich habe keine Ahnung wie lange ich mich schon in diesem Zustand befinde, als ich auf einmal einen Druck verspüre. Einen heftigen Druck nach unten. Und auf einmal geht alles Schlag auf Schlag. Es geht los. Die Fruchtblase platzt und ich verspüre einen unmittelbaren Drang zu pressen. Ein komisches Gefühl nicht mehr Herr über meinen Körper zu sein. Mich nicht mehr beherrschen zu können. Und zwei Presswehen später ist es auch schon wieder vorbei.
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