Kann er das schon?
Es ist ein schöner (Fast)Winterabend. Wir sitzen gemütlich im Wohnzimmer und spielen. Alle vier von uns. Und das friedlich – eine Seltenheit. Es könnte also schöner nicht sein. Bis zu dem Moment als der Herr mit folgender Information herausplatzt:
Jemand hätte ihn darauf angesprochen, warum Monsieur noch nicht frei gehen kann. Es ist doch langsam aber sicher an der Zeit. Schließlich ist er doch schon ganze fünfzehn Monate alt. Wir sollten das doch lieber einmal abklären lassen.
Sollen wir das wirklich? Ich bin mir nicht sicher. Ganz im Gegenteil. Bin auf einmal total verunsichert. Denn bis dato habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, dass irgend etwas nicht in Ordnung sein könnte. Nur weil der junge Herr noch nicht frei läuft. Vom Gefühl her war immer alles in Ordnung. Was soll denn schon großartig sein. Stehen kann er ja schon lang. Krabbeln sowieso wie ein Weltmeister. Und auch an den diversesten Einrichtungsgegenständen hantelt er sich entlang, als hätte er es immer schon gemacht. Tja, nur das freie Gehen lässt auf sich warten. Mehr als drei Schritte hintereinander waren noch nicht drinnen.
Madame war da anders. Hat früh schon ihre grobmotorischen Fähigkeiten entwickelt. Oder besser gesagt trainiert wie eine Wilde. Auf und nieder. Auf und nieder. Und das immer wieder. Und wenn es einmal nicht so funktioniert hat wie sie wollte, dann hat sie einfach weiter probiert. Hat also in ihrem ersten Lebensjahr schon unzählige Sit-Ups und Kniebeugen gemacht. Mehr als manch einer von uns in seinem ganzen Leben. Dementsprechend früh ist sie auch gegangen. Und das sehr sicher. Von Anfang an (Dass der kleine Monsieur feinmotorisch viel besser ist, als Madame in ihrem zweiten Lebensjahr je war, will mir an dieser Stelle natürlich nicht einfallen).
Und wie es einmal so ist mache ich mir auf einmal doch Sorgen! Richtig große sogar. Habe Zweifel und auch irgendwie ein schlechtes Gewissen. In meinem Kopf reiht sich eine Frage an die nächste. Könnte es sein, dass wir uns zu sehr auf Madame fokussiert und ihn außen vor gelassen haben? Oder haben wir ihn einfach zu sehr verwöhnt, in dem wir ihn viel getragen haben? Ich bin auf einmal richtig unsicher. Weiß nicht mehr was ich denken soll. Und beginne dass, was man auf keinem Fall tun sollte: Ich befrage den allwissenden Doktor Google.
Dass das keine so gute Idee war merke ich keine fünf durchgelesenen Suchergebnisse später. Von Entwicklungseverzögerung bis zur Muskelschwäche ist alles dabei. Auch die Rabenelterntheorie findet Anklang. Doch ein paar weitergescrollte Minuten später finde ich auch Beiträge, die mich beruhigen und neue Hoffnung schöpfen lassen. Beiträge in denen die Rede davon ist, dass es noch eine ganze Weile (bis achtzehn Monate und darüber hinaus) ganz normal ist, wenn ein Kind noch nicht frei gehen kann. Und genau diese Beiträge sind es, die ich lesen wollte. So viel also zu Doktor Google – man findet alles und nichts und nimmt sich ja doch immer das heraus, was für einen gerade passt. Da hätte ich eigentlich das Tageshoroskop auch lesen können.
Los lässt mich das Thema die nächsten Stunden trotzdem nicht. Bis es auf einmal los geht. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung steht Monsieur vor mir und macht seine ersten richtigen Schritte. Ganz ungezwungen und voller Freude. Erst vier und dann immer mehr. Lässt sich vom Umfallen nicht beeindrucken, steht wieder auf und macht weiter. Ganz so, als hätte er unser Gespräch verstanden und will uns jetzt beweisen, dass er es doch kann. Wie auch immer. Mich freut es auf jeden Fall sehr. Und auch der Herr und Madame freuen sich mit dem kleinen Herrn. Der damit ein ganzes Stück größer geworden ist.
Und die Moral von der Geschicht‘. Hör gescheiter auf dein Bauchgefühl und Doktor Google nicht! Und schon gar nicht auf Meinungen von Außen! Denn wie heißt es so schön: Jedes Kind ist anders. Auch meine zwei Rabauken!
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